Der Traum vom Naumburger Flughafen

17. Juni 2025

Wie im letzten Jahr bereits berichtet, fanden 1924 in Naumburg zwei Flugtage statt. Der erste, auf den Saalewiesen in der Nähe der Henne ausgetragen, endete mit der Bruchlandung eines Flugzeuges. Für den zweiten Flugtag nutzte man ein Stück des alten Exerzierplatzes oberhalb des Buchholzes. Dieser verlief glücklicher, aber auch nicht ganz unfallfrei: ein Fallschirmspringer landete unsanft und verletzte sich. Für 1925 hatte sich der etwa 400 Mitglieder starke Naumburger Luftfahrt-Verein, eine Ortsgruppe im Deutschen Luftfahrt-Verband, vorgenommen, wiederum einen Flugtag zu veranstalten.

Natürlich brauchte man dafür wieder einen Platz zum Starten und Landen. Man trat deshalb an den Magistrat der Stadt mit dem Ersuchen heran, einen etwa 55 Morgen großen Teil des ehemaligen Exerzierplatzes zur Einrichtung einen Flugplatzes zur Verfügung zu stellen. Die vorgesehen Fläche war allerdings zu landwirtschaftlichen Zwecken verpachtet. Der Magistrat stand dem Gesuch wohlwollend gegenüber und reichte eine entsprechende Vorlage zur Diskussion und Beschlussfassung an die Anfang Februar 1925 tagende Stadtverordnetenversammlung ein. Man ging darin davon aus, dass die mit den Pächtern geschlossenen Verträge auch eine vorzeitige Beendigung ermöglichen, um das Gelände einem öffentlichen Zwecke zur Verfügung zu stellen. Der weitaus größere Teil der in Frage kommenden Fläche wurde von den Pächtern wohl schon freiwillig zurückgegeben. Die übrigen sollten durch entsprechende Zusammenlegung von Parzellen entschädigt werden. Der Magistrat schlug also vor, dem Luftfahrt-Verein von dem früheren Exerzierplatz ein Gelände in Größe von etwa 55 Morgen pachtweise zur Einrichtung eines Flugplatzes zur Verfügung zu stellen. Der Verein sollte in die Rechte und Pflichten eintreten, wie sie mit den bisherigen Pächtern bestanden. Dabei sollte aber der bisherige Pachtzins, der auf der Grundlage des Getreidepreises veränderlich war, in einen Pachtzins in der Höhe der in diesem Jahre gezahlten Pachtgebühren und Steuern umgewandelt werden.

Der Verein aber wünschte sich mit Rücksicht auf das öffentliche Interesse an der Einrichtung des Flugplatzes eine unentgeltliche Zurverfügungstellung des Geländes oder doch eine wesentliche Pachtermäßigung. Der Magistrat schlug vor, dem Vereine nach Möglichkeit entgegenzukommen. Da jedoch die Grundstücksverwaltung „im Interesse der Klarheit ihres Haushalts“ auf die Einnahmen aus dem Flugplatzgelände nicht verzichten kann, sollte der Verein zwar den vollen Pachtzins zahlen, die Zahlung sollte ihm aber durch Gewährung einer jährlichen Beihilfe ermöglicht werden. Der Magistrat hatte deshalb beschlossen, dem Verein jährlich 2.000 Mark Unterstützungen zu gewähren und diesen Betrag erstmalig in den Haushalt 1925/26 einzustellen.
Das öffentliche Interesse am Flugplatz begründete der Magistrat wie folgt: „Naumburg ist Schnittpunkt der großen Luftverkehrslinien Berlin—München und Berlin—Leipzig—Frankfurt. Der Luftfahrtverkehr steht zwar noch am Anfang seiner Entwicklung; es ist aber mit Bestimmtheit vorauszusehen, dass er in absehbarer Zeit eine überragende Bedeutung gewinnen wird. Da erscheint es wohl notwendig, dass sich Naumburg rechtzeitig in das Verkehrsnetz einfügt, bevor andere Städte uns zuvorkommen und schließlich ein Bedürfnis nach einem Naumburger Landeplatz nicht mehr vorhanden ist.“

Für eine zügige Beschlussfassung durch die Stadtverordneten war Eile geboten, weil Anfang Juni ein „großer Werbeflug“ vor sich gehen sollte und Naumburg dabei berücksichtigt werden würde, wenn der Flughafen vorhanden wäre. Außerdem war das Gelände schon von der Magdeburger Luftpolizei als geeignet befunden worden.
In der Diskussion zur Magistratsvorlage wurden viele Argumente Für und Wider vorgetragen. Die Gegner argumentierten, dass der Umwandlung der Äcker in einen Flugplatz öffentliche Interessen entgegen ständen. Die Pächter hätten das Land nur unter der ausdrücklichen Zusicherung bekommen, dass sie Kartoffeln und Brotgetreide bauen, und nun — obwohl sie dies Versprechen hielten — wolle man ihnen das Land wegnehmen. Einige Pächter seien direkt auf das Feld angewiesen. Durch die Verwendung der Fläche als Flugplatz würden der Allgemeinheit einige tausend Zentner Kartoffeln verloren gehen. Vorteile hätte von einem Flugplatz im übrigen nur der Verein, nicht die Stadt. Auch handele es sich hier nicht um ein allgemeines, sondern um das Sportinteresse einiger Leute, die Geld hätten. In den Turnvereinen usw. würde die Jugend allgemein ertüchtigt, im Flugverein nur Einzelne.
Die Befürworter argumentierten, wer sich gegen den Fortschritt stemmen will, über den geht die Zeit hinweg. „Von Fachleuten und Kameraden aus dem Felde kann man es hören, dass ein Luftverkehr in großem Ausmaße sich über uns entwickeln wird. Vor 10—20 Jahren noch scheuten wir nicht Wind noch Wetter, wenn es galt, ein Luftschiff zu sehen. Unsere Zeppeline! Andere Nationen gäben wer weiß was darum, wenn sie es uns in der Luftfahrt gleich tun könnten. Große technische Vorteile sind mit einem Flugplatz verbunden. Erfurt hat eine große GmbH gegründet, um einen Flughafen ins Leben zu rufen. Manche Städte haben unentgeltlich Land zur Verfügung gestellt, damit ihnen der Flugplatz sicher sei, und bei uns so viel Kleinlichkeit und Unverständnis! Unsere Urgroßeltern dachten, als sie eine Eisenbahn erblickten, der Teufel säße darin. Wer hat vor Jahren gedacht, dass wir auf drahtlosem Wege hören könnten, was in Paris usw. gesprochen wird? So geht der Sturmlauf der Technik voran. Wenn wir der Vorlage unsere Zustimmung versagen, müssen wir uns in der Tat Schildbürger nennen lassen und sind wert, in satirische Blätter zu kommen.“
Es flogen also in der Stadtverordnetenversammlung „mal wieder die Fetzen“, wie der Volksmund so schön sagt. Nachdem geklärt war, dass Vereinsmitglieder auch stimmberechtigt sind, da private Interessen nicht vorliegen, kam es zur namentlichen Abstimmung. Es wurde mehrheitlich beschlossen, mit dem Luftfahrtverein einen Pachtvertrag über eine Fläche von zunächst 40 Morgen abzuschließen, zu den allgemein gültigen Sätzen für Land durchschnittlich gleicher Güte und Lage. Weiteres Land sollte nur dann zur Verfügung gestellt werden, soweit es durch gütliche Einigung frei würde.
Die Diskussion zur Bewilligung einer jährlichen Beihilfe für den Verein verlief ähnlich kontrovers. Auch hier fand schließlich eine namentliche Abstimmung mit dem Ergebnis statt, dass die Beihilfe für den Luftfahrtverein mit 14 gegen 7 Stimmen abgelehnt wurde.

Nun war der Weg also frei für die Großflugtage am 6. und 7. Juni in Naumburg. Neben lokalen Veranstaltungen berührte an diesen Tagen auch der vom Deutschen Aero-Klub organisierte, 10 Tage andauernde Deutschlandflug den neuen Naumburger Flugplatz. Geflogen wurde dabei in zwei Klassen: Klasse A bis 40 und B bis 80 PS. Von den 92 angemeldeten Teilnehmern waren fünf Schleifenflüge über Deutschland, jeweils mit Start in Berlin-Tempelhof zu absolvieren. Am 6. Juni war die Strecke Berlin — Naumburg — Nürnberg-Fürth — Augsburg — München — Hof — Leipzig — Berlin zurückzulegen. Alle Flieger der Klasse A mussten in Naumburg zwischenlanden, um sich registrieren zu lassen.

Der Naumburger Flugplatz, so wurde eingeschätzt, „ist nach seiner Fertigstellung und Verkabelung der Telefonleitungen für alle Landungen und Starts besonders gut geeignet, da in allen Richtungen sehr gute Anschwebemöglichkeiten für die Maschinen geschaffen sind. Die bis ins Kleinste vorbereitete Bodenorganisation gewährleistet einen sicheren Großflugbetrieb, dessen Oberleitung in den Händen ehemaliger Kriegspiloten liegt. Abgesehen von den vielen technischen Arbeiten muss der Verein auch für die Unterbringung der großen Menschenmassen, welche dieser Verunstaltung beiwohnen werden, in richtiger Weise Sorge tragen. Hierzu wird die weite Umgebung des Flugplatzes durch ein großes Aufgebot von Polizeimannschaften vollständig abgesperrt. Alle an den Flugplatz grenzenden Straßen sind, sowohl am 6. als auch am 7. Juni vollständig gesperrt, und nur die Inhaber von Eintrittskarten haben die Berechtigung, diese Straßen zu passieren. Auch für das leibliche Wohl ist zur Genüge gesorgt. Es sind 2 große Restaurationszelte, sowie auch ein Kaffeezelt draußen errichtet. Die Flugleitung hat dafür gesorgt, dass die Preise für Speisen und Getränke sich in mäßigen Grenzen bewegen, so wird beispielsweise ein Drei-Zehntel-Glas Bier 30 Pfg. und eine Tasse guter Bohnenkaffee 40 Pfg. kosten.“

Am Sonnabend, dem 6. Juni, „der am Morgen vollständig unter dem Eindruck der Deutschlandflieger stand, zeigte der Flugplatz noch eine unerwartete Leere.“ In Tempelhof waren am frühen Morgen „einige 30 Maschinen zur 4. Schleife“ gestartet. Auch wenn im Tageblatt von „Hochbetrieb auf dem Zwangslandeplatz Naumburg“ die Rede war, so landeten und starteten hier zwischen 5:30 und 12 Uhr nur 13 Maschinen. Während ihres Aufenthaltes wurden „plombierte Teile der Motoren geprüft, Flugzeit und Flugstrecke in Bordbücher eingetragen und die Maschinen durch eine besondere Tankstelle mit Betriebsstoffen versehen, während den Piloten als Gäste des Luftfahrt-Vereins Erfrischungen und Speisen gereicht wurden. Zur Erinnerung an die Landung in Naumburg erhielt jede Flugzeugbesatzung eine Fliegeraufnahme vom Naumburger Dom.“
Am Nachmittag hatten sich dann „nach und nach doch noch einige tausend Zuschauer eingefunden“ um die lokalen Veranstaltungen zu verfolgen. Dazu waren hier drei Doppeldecker eingetroffen, eine Albatros B 2 D 481 mit einem 100-PS-Mercedes-Motor aus Berlin, eine D. F. W.-Maschine mit einem 200-PS-Benz-Motor aus Bad Oeynhausen und eine Dietrich-Maschine mit einem 75-PS-Sternmotor aus Coburg sowie eine Junkers-Limousine.
Die Kunstflüge eines alten Jagdfliegers, des Piloten Bussmann, mit der Dietrich-Maschine waren „das Hervorragendste, was geboten wurde. Mit waghalsigen Steilkurven und wundervoll ausgeführten Loopings in 300, 200 und 100 Meter Höhe hielt er die Menge in spannendem Schweigen.“ Ein weiterer Höhepunkt war der Fallschirmabsprung des Fallschirmpiloten Staltner. Er „stieg mit der D.F.W. auf und sprang in etwa 900 Meter Höhe aus dem Flugzeug“, wurde aber nach dem Buchholz hin abgetrieben und entschwand den Blicken. Sanitäts- und Polizeiautos fanden ihn etwa hundert Meter vom Waldrand entfernt, wo er in etwa 20 Meter Höhe in einem Baum hing. Mit Hilfe der Feuerwehr gelang es, ihn unverletzt herunterzuholen.

Am Sonntag, dem 7. Juni fanden den ganzen Vormittag und auch noch am Nachmittag Passagierflüge in der „schnittigen, bequemen Junkers-Limousine“ statt. Die Nachfrage war offensichtlich nicht sehr groß, weshalb am Nachmittag der Preis für einen solchen Flug um 5 Mark ermäßigt wurde, der Naumburger Luftfahrt-Verein übernahm einen Teil der Unkosten. Dadurch füllten sich dann auch nach und nach die Plätze. „Im Laufe der ganzen Veranstaltung wurden etwa 150 Personen durch die Luft geschaukelt.“
Außerdem wurde ein Zielwurfwettbewerb veranstaltet. Alle 4 Maschinen starteten und versuchten aus mindestens 50 Meter Höhe eine mannshohe Sektflasche zu treffen.
Am Mittag startete Staltner mit der D. F. W. zu einem weiteren Fallschirmsprung. Diesmal sprang er aus 1100 Meter Höhe über dem Platz ab. Aber das Glück war ihm wiederum nicht hold. Einige Seile seines Schirmes rissen und er „stürzte mit vermehrter Geschwindigkeit in ein Kornfeld.“ Mit einer Verstauchung der Wirbelsäule und einigen Mundverletzungen musste er ins hiesige Krankenhaus eingeliefert eingeliefert werden. Besser machte es „ein anderer Fallschirmpilot, Hans Meisterknecht, dessen Sprung aus etwa 1000 Meter Höhe glänzend gelang.“
Damit ging die Veranstaltung zu Ende.

Die beiden Flugtage waren abgesehen von den missglückten Fallschirmsprüngen gut verlaufen. Trotzdem hatte der neue Flugplatz einige Mängel. Zum einen wurde er als zu klein eingeschätzt, zum anderen fehlten diverse Bauten, wie z. B. Hallen für Flugzeuge, eine Tankstelle usw. Ein großes Problem war auch der von den Flugzeugen aufgewirbelte Staub, der nicht nur für die Zuschauer unangenehm war, sondern auch die Flugzeugmotoren verschmutzte. Man war aber zuversichtlich, das alles im Laufe der Zeit in den Griff zu bekommen und so veranstaltete der Naumburger Luftfahrt-Verein 1925 und 1926 weitere Flugtage.

Die letzte derartige Veranstaltung, von der berichtet wird, fand am 3. Juli 1927 statt. Als Veranstalter wird hier aber die Gesellschaft für deutsches Flugwesen, Berlin, genannt und als Ort das „Boblaser Fluggelände“. Auf Grund wirtschaftlicher Probleme des Naumburger Luftfahrt-Vereins war der Pachtvertrag mit der Stadt für das Gelände des Flugplatzes vorzeitig zum 1. Oktober 1926 gekündigt worden, der Traum vom Naumburger Flughafen war ausgeträumt.