Kirschfestgeschichte(n)

21. Mai 2025

Wieder einmal steht das Kirschfest vor der Tür, und glaubt man dem früheren Stadtschreiber, Oberbürgermeister und Chronisten Sixtus Braun, dann sind seit dem ersten Kirschfest nunmehr 499 Jahre vergangen.

In seinen Naumburger Annalen hat er unter der Jahreszahl 1526 vermerkt: „Das Kirschfest mit den Schulknaben hat sich angefangen, also dass die Knaben in einem Garten Kirschen gegessen und darauf am Tage Mariä Magdalenä eine Kollation [Vesper, Imbiss] gehalten worden, deren Kosten der Rat getragen.“ Das die Art und Weise, wie das Kirschfest gefeiert wurde, sich im Laufe dieser Zeit geändert hat und aus einem Schulfest letztendlich ein Volksfest wurde, dürfte durch zahllose Veröffentlichungen hinlänglich bekannt sein.
Der Ort, an dem das Fest stattfand war nicht immer der gleiche: von Chronisten wird anfangs das Buchholz genannt, 1563 der Marienzwinger, 1565 der Vieh- (d.h. Wenzels-) zwinger, 1564 die Vogelstange (der Prokopiushügel am Wasserkunstweg), 1649 wegen Regenwetters das "Rathaus oder der Tanzboden“, ca. ab 1660 dann, wie auch heute noch, die Vogelwiese.

Kirschfestbild
Das 6,75 m breite und 4,85 m hohe Wandgemälde in der Aula der Humboldtschule, 1906 geschaffen vom Historienmaler Franz Müller-Münster, zeigt die Kinder, wie sie gemäß der Sage zum Prokop ziehen.

 

In der langen Zeit soll das Kirschfest nur fünfmal ausgefallen sein: nach Friedrich Hoppe (1879-1959) in den Jahren 1866, 1870 und 1917 bis 1923. Dazu kommen noch die Jahre 1939-1953 und das Coronajahr 2020. Man glaubt es kaum, aber selbst in den unruhigen Zeiten des Dreißigjährigen und des Siebenjährigen Krieges ging die Feier, wenn auch in beschränktem Umfange, über die Bühne.

Über die Ereignisse in Naumburg während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) und die Kirschfestfeiern in jenen Jahren ist einiges bekannt. Während dieses Krieges, so wird berichtet „ist Naumburg als damals sächsische Stadt wiederholt von den Preußen gebrandschatzt worden, und zwar ähnlich wie Leipzig in höherem Maße als andere Städte Sachsens, weil Friedrich der Große an den Sitzen so blühender Messen das meiste Vermögen vermutete.“ Im September 1756 rückten preußische Husaren hier ein und verlangten eine Kontribution von 36.000 M, die in wenigen Tagen aufgetrieben werden musste. Das Kirschfest 1757 verlief ähnlich wie zuvor, allerdings „untersagte der Rat Trommelschlag, Musik und Fahnenschwenken“, was sonst üblich war. Nach der Schlacht bei Leuthen im Dezember 1757 musste Naumburg bis Neujahr 90.000 M Kontribution aufbringen. Gleich darauf, Anfang 1758, rückte das preußische Kürassierregiment von Horn hier ein, und erzwang 54.000 M und 20 000 Brote. „Das ganze Jahr verlief unter fortwährenden Bedrückungen und Einquartierungen.“ Trotzdem feierte man das Kirschfest wie im Vorjahr. Gleiches hatte man auch 1759 vor. „Da aber einige Tage vorher Reichstruppen ankamen, die von der Vogelwiese bis zum Marientor lagerten, musste die Feier eingeschränkt werden. Nicht einmal den Aufmarsch auf dem Markt erlaubte der Rat, und die großen Böden auf dem Neuhaus (Herrenstraßenflügel des Rathauses) konnte man auch nicht benutzen, da dort ein Militärmagazin errichtet war.“ Anfang 1760 wurden von den Preußen abermals 45.000 M verlangt, „welche die Stadt unklug genug war zu verweigern.“ Ein preußisches Armeecorps rückte vor Naumburgs Tore und drohte, die Stadt in Grund und Boden zu schießen, wenn man nun nicht sofort 450.000 M zahlte. Mit Mühe gelang es, diese Summe auf 300.000 Mark herunterzuhandeln, welche der Stadt dann von der Fürstin Charlotte Wilhelmine v. Schwarzburg vorgeschossen wurden. In diesem Jahr hatte man schon angefangen, die Vorbereitungen für das Kirschfest auf der Vogelwiese zu treffen, obwohl Österreicher und Sachsen dort lagerten. Als aber Preußen kamen und ein Gefecht entbrannte, beschränkte man sich auf eine Feier wie im Jahre vorher. Ende 1760 rückte die württembergische Armee in die Stadt ein und und kampierte hier den ganzen Winter über. Das nächste Jahr verging für unsere Stadt verhältnismäßig ruhig, weshalb man das Kirschfest wie in Friedenszeiten feierte. Im Dezember 1761 forderte Friedrich der Große von Naumburg wieder eine Kontribution von 300.000 M. „Da die Summe nicht gleich aufzutreiben war, rückte eine preußische Exekutionsarmee, Füsiliere vom Regiment Neuwied, ein. Die Summe, welche durch die Kosten für die Verpflegung der Soldaten und durch Erpressungen auf 400.000 M angewachsen war, musste aufgebracht werden. Kaum hatten die Preußen gesehen, dass das Geld noch hatte beschafft werden können, so verlangten sie 1762 von Naumburg wieder 600.000 M“. Die infolge des Krieges eingetretene Teuerung ließ nur eine eingeschränkte Kirschfestfeier zu. Die im Schützenhaus übliche Speisung konnte nicht stattfinden, „da es so ruiniert war, dass man den Treppenaufgang hatte zunageln müssen, um Unglück zu verhüten.“ Die 600.000 M waren noch nicht bezahlt, als Anfang 1763 „der Friedensschluss erfolgte, der die ausgesogene Stadt von der Zahlung der unerschwinglichen Summe befreite“. Soweit zu diesen schweren 7 Jahren.

Üblicherweise wurden die Kinder zum Kirschfest beköstigt. Nicht immer wurden Kirschen gereicht, vor allen Dingen nicht, wenn das Fest in den August fiel. Anfangs, also noch im Buchholz, gab es neben Kirschen auch Schoten, Birnen und Spillinge (eine Pflaumenart). Wenn das Obst knapp war, wurden auch Rosinen, Mandeln u. ä. ausgegeben. Diese Verteilung, die ursprünglich am Festort erfolgte, wurde später in die Schule verlegt, wo die Kinder am Vormittag Kirschen und ein Gebäckstück, Zöpfchen genannt, empfingen. „Seit 1880 gab es statt der Kirschen zwei Zöpfchen, in neuerer Zeit nur eins; dafür wurde aber den Kindern auf der Festwiese seit 1887 in einem besonderen Zelte Limonade verabreicht.“ So ist es bei Hoppe nachzulesen. Schön, dass sich die Ausgabe von Zöpfchen und Fassbrause bis heute erhalten hat.

Natürlich mussten die Kinder zum Kirschfest auch beschäftigt werden. Diese Spiele, so schreibt Friedrich Hoppe, „bestanden von jeher in den üblichen Kinderbelustigungen, in Reigen und allerlei Kurzweil. Seit wir denken können, bildet das Schießen um Preise den Mittelpunkt. Das Schießen geschah in den Schießzelten. Vor 1857 wurden statt des Schießzeltes grüne Lauben aufgebaut.“ Später fand das Ganze auch im Freien statt. Die älteren Schüler schossen damals mit Armbrust und Bolzen nach dem Adler, die kleineren mit dem Stechvogel nach dem Stern. Zu den „Belustigungen“ gehörten zeitweise auch Spiele im Bürgergarten, Turnübungen der Jungen und Reigen der Mädchen auf der Vogelwiese.
„Eine Eigentümlichkeit der Feste älterer Zeit war der Tanz, an dem sich die Schüler und Schülerinnen der oberen Klassen im Schützenhaus belustigten, ein Vergnügen, das, von den Lehrern beaufsichtigt, bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts gepflegt ward.“

Einen besonderen Teil unseres Kirschfestes bildeten in alter Zeit die Mahlzeiten der Lehrer, die noch im Jahre 1833 üblich waren. Seit dem Jahre 1542 berichten die Kirchenrechnungen über Ausgaben an Bier, Brot und Käse für die an der Kirschfestfeier beteiligten Lehrer. Im Laufe der Zeit wurde die freiwillige Spende der Kirche zu einer festen Abgabe. Auch die Kämmerei des Rates gab zu den „Ergötzlichkeiten der Lehrer“ gutwillige Beiträge, die später im Haushalt der Stadt fest eingeplant wurden. Am Kirschfestmontag empfing der Rektor den Bürgermeister, den Oberkämmerer, die Geistlichen, Stadt- und Kammerschreiber, Kirchner und Organist zum Bankett. „Während der Tafel überbrachte der Stadtvogt des Rats Geschenke, etliche große zinnerne Kannen mit Wein gefüllt, die der Marktvogt und andere Diener trugen. Bei der Übergabe hielt der Stadtvogt eine kurze Ansprache und gratulierte dem Rektor und seinen Kollegen, dass sie das Kirschfest abermals in Gesundheit und Frieden erlebt hätten. Darauf antwortete der Rektor und dankte zugleich im Namen seiner Kollegen mit dem herzlichen Wunsche für das Wohlergehen der Stadtverwaltung. Die Feier wiederholte sich am Dienstagnachmittag, und wer bleiben wollte, konnte auch am Abend des Rektors Gast sein.“ Es waren also drei Mahlzeiten üblich.
Um die Unkosten des Festes zu decken, hatten auch die Schüler einen Beitrag zu leisten, und zwar „zahlten die Primaner 12 Groschen und die Sekundaner 8 Groschen.“ Das war für jene Zeit viel Geld und die Schüler verweigerten deswegen 1687 die Zahlung und die Teilnahme am Fest. Der Rat befahl ihnen aber mit aller Strenge, zu zahlen, und ermäßigte nur für die Ärmeren den Betrag. Der Ertrag der Sammlung aus allen sechs Klassen des (Rats-) Gymnasiums wurde dem Rektor als Gehalts-Ergänzung überwiesen.
Sogleich entbrannte ein Streit darüber, wie viele Mahlzeiten der Rat den Lehrern nun bezahlen werde. Dieser verkündete, nur noch eine Mahlzeit zu gewähren. Damit waren aber die Lehrer nicht einverstanden, sie verlangten die Bewirtung mit drei Mahlzeiten wie bisher und weigerten sich, beim Kirschfest tätig zu sein. Schließlich einigte man sich dahingehend, dass der Rat für die Lehrer, die Wenzelsgeistlichen und die Ratsherren im Gasthofe zum „Güldenen Harnisch“ (Jakobsstraße 26) zwei Mittagessen mit je acht Gängen und ein Abendessen mit sechs Gerichten, sowie Obst und Kuchen geben sollte. Der Jubel der Beteiligten war groß und diese Entscheidung wurde kräftig gefeiert, dabei wurden wohl 110 Kannen Frankenwein getrunken. Das war dem Rat doch etwas zu teuer und im nächsten Jahr strich er einfach ein Essen; das solle der Rektor geben. Der davon natürlich auch nicht begeistert war, aber dann doch nachgab. Und so geschah es, dass die dritte Kirschfestmahlzeit, zu welcher der Rektor das Geld gab, abwechselnd in den Häusern der Lehrer stattfand. Dieses sogenannte Kirschfestgratial wurde später durch eine Geldspende in Höhe von 3 Mark abgelöst und bis zum ersten Weltkrieg vom Magistrat bezahlt.
Abschließend sei dazu noch gesagt, dass die bei den Festlichkeiten vom Wein erhitzten Gemüter häufig in Streit gerieten und so die Festessen „oft mit Ärgernis und Unfrieden endeten.“ Es ist daher nicht verwunderlich, dass „die schlechten Vorbilder in den Schülern treuliche Nachahmer fanden.“

Und so ging es beim Kirschfest nicht immer ganz friedlich zu, körperliche Auseinandersetzungen und gar die Bombendrohung von 2017 sind Vielen sicherlich noch in Erinnerung. Von einer der schlimmsten Ausschreitung früherer Zeiten, die beim Kirschfest 1698 geschah, soll hier noch berichtet werden. Einige Schüler waren auf der Vogelwiese über Johann Christoph Tim, einen Lehrling des reichen Goldschmieds Hans Kaspar Krügelstein hergefallen und „hatten ihn blutig geschlagen“ – ohne jeden Grund, wie dieser angab. Der anwesende Geselle des Goldschmiedemeisters, Hans Christian Eiffler, versuchte noch, den Geschlagenen zu schützen, woraufhin ein Schüler namens Schumann nach ihm schoss, „so das sein Hut durchlöchert und die Perücke versengt wurde“. Daraufhin „wurde der Tumult so arg, dass selbst der Konrektor, als er mit seinem spanischen Rohre Frieden stiften wollte, Püffe und Schläge bekam.“ Eiffler erstattete Anzeige beim Rat und forderte die Bestrafung des Schülers Schumann, sowie die Erstattung der Schäden und der Unkosten. Er beanspruchte 20 Taler Schmerzensgeld, sechs Taler Reisekosten für einen Advokaten aus Leipzig, "weil hier keiner in der Sache hat gerne dienen wollen", 15 Taler 20 Gr. für Versäumnis und anderen Schaden.
Bei der gerichtlichen Untersuchung sagte das Opfer Tim aus, „er habe sich wohl die Feindschaft einiger Schüler zugezogen“. Im letzten Winter hatte er einmal auf dem Weg zur Kirche einige Schüler nicht gegrüßt. Auf den Zuruf eines Schülers: "Na, du Hundsfott, kannst du den Hut nicht vor uns abnehmen?!" hatte er geantwortet: "Ei, ein Hundsfott soll doch nicht etwa den anderen grüßen?!" Beim Kirschfest bekam er dann plötzlich von hinten mit einem Stock einen Schlag auf den Kopf, danach habe der ganze Schülertrupp auf ihn eingeschlagen. Der Lehrling forderte 50 Taler Schmerzensgeld, "weil er diese Schläge nicht vor 500 Taler wieder ausstehen möchte", und 12 ½ Taler für den Barbier Meye und zerrissene Sachen.
Die geladenen Zeugen sagten größtenteils zu Ungunsten der sechs beteiligten Schüler aus. Diese versuchten ihre Straflosigkeit mit einer vom Advokaten Albinus verfassten Verteidigungsschrift zu beweisen. Darin erklärten sie u. a., dass nicht zu beweisen sei, wer von ihnen den Lehrling geschlagen habe und sie deshalb alle unschuldig wären.
Der Rat setzte zwar die Entschädigungsgelder herab, verurteilte aber die Täter wie folgt: der Hauptschuldige und Schütze namens Schumann hatte den Gesellen zu entschädigen und wurde „anderer bösen Jugend zum Exempel“ aus der Schule entlassen. Die übrigen Schläger hatten den Lehrjungen zu entschädigen, bekamen drei Tage Schularrest und wurden „vom Rektor und Konrektor öffentlich geprügelt“.

Werfen wir noch einen letzten Blick auf etwas, das immer zum Kirschfest wichtig ist, das Wetter. Anhaltender Regen bewirkte öfter eine Verschiebung des Festes. Heftige Unwetter gab es aber auch während des Festes, z. B. am 4. August 1837, wobei der Regen, später als Kirschfestsintflut bezeichnet, die ganze Vogelwiese überschwemmte, in die Zelte eindrang und die Zeltbesucher sich auf Tische und Stühle retten mussten. Ähnliches erlebten wir auch in den 1990iger Jahren. Kälte war manchmal auch ein Thema, dass den Kirschfestteilnehmern zu schaffen machte, und der Katzenjammer am Ende des Festes kehrt auch alle Jahre wieder. Beides wurde in einem im Jahr 1929 im Tageblatt abgedruckten Gedicht verarbeitet:

Das Kirschfestlied ist nun verklungen.
Man hat es tausendmal gesungen.
Es ward gepfiffen und geblasen
Zunächst mit kälteroten Nasen.
Als linde Luft weht vor den Toren
Und fort war Frostgefahr für Ohren.
Man kaum noch rieb die kalten Hände
    War schnell der ganze Spaß zu Ende.
Kirschfestlich sind wir ausgetaumelt,
Wovon erschlafft der Beutel baumelt.
Miau — schreit’s Jämmerlein im Kopf,
Auch miauts im Geldsack, armer Tropf!
Trotz allem! Wenn die Kirschen baumeln
Nächstjährig, — woll'n wir wieder taumeln.

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